Betrieb: Umstellen auf alternative Haltung
erschienen am 06.11.2001
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Betrieb: Umstellen auf alternative Haltung
Etliche Pferde verbrachten den Sommer im Herdenverband auf der Koppel. Den Tieren ging es gut, ihre Besitzer waren zufrieden. Doch spätestens im Oktober müssen die Weidepferde wieder ganztägig aufgestallt werden. Immer mehr Einsteller akzeptieren in der heutigen Zeit eine reine Boxenhaltung nicht mehr für ihr Pferd. Sie wünschen sich eine Box mit angegliedertem Paddock oder stundenweisen Auslauf. Damit fangen für viele Betriebe die Probleme an. Der PFERDEBETRIEB stellt Konzepte vor und gibt Tipps für eine praxisnahe Umstellung auf eine alternative Pferdehaltung.
Wer heutzutage mit seinem Betrieb wettbewerbsfähig sein will, muss zunehmend die Belange einer weitestgehend artgerechten Pferdehaltung berücksichtigen. An vielen Orten haben die Einsteller schon jetzt die Qual der Wahl, wenn es um die Unterbringungsmöglichkeit ihrer Pferde geht. Aufgrund der hinlänglich bekannten BSE- und MKS-Problematik suchen immer mehr Landwirte nach einem zweiten Standbein. Da scheint sich die Pensionspferdehaltung geradezu anzubieten. Für bestehende Pferdebetriebe bedeutet dies eine noch größere Konkurrenz, und Existenzgründer müssen ihr Konzept noch gründlicher durchdenken, damit es wirtschaftlich funktioniert. Höchste Zeit also, sich über eine alternative Pferdehaltung Gedanken zu machen. Dies dachten sich auch Susanne und Thorsten Hinrichs – beide sind Agraringenieure - als sie den Hof eines Onkels in Weddingstedt in Schleswig-Holstein vor drei Jahren übernahmen.
Mit Pferden leben
Die Hinrichs‘ besaßen selber zwei Pferde und ein Pony für die Kinder. Wie bei so vielen Zeitgenossen lautete ihr Konzept: „Mit den Pferden leben“. Da kam es nicht ungelegen, als der Onkel aus Altersgründen die Landwirtschaft aufgab. Thorsten Hinrichs ist selber gelernter Landwirt. Vor seinem Studium absolvierte er die Meisterprüfung. Mehrere Jahre arbeitete er auf dem Hof seiner Eltern sowie auf dem des Onkels. Anstatt die Landwirtschaft auf beiden Höfen aktiv fortzuführen, wurde Hinrichs nach dem Studium Produktmanager und technischer Leiter in einem Stallbauunternehmen Auf dem Betrieb des Onkels wurden rund vierzig Rinder und zwanzig Sauen sowie fünf Pferde in Ständerhaltung gehalten. Sowohl Stallgebäude als auch das Wohnhaus stammten aus dem Jahr 1920. Zwar wurden immer wieder Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt, doch änderte dies nichts daran, dass das Konzept grundlegend geändert werden musste, wenn der Hof in zeitgemäßer Form funktionstüchtig gehalten werden sollte.
Viel Eigenarbeit
Der Hof sollte ein reiner Pferdebetrieb werden, entschieden die Hinrichs. Aufgrund der Lage im Ort sowie der nicht vorhandenen hofnahen Weideflächen, wurde von Anbeginn ein Bewegungsstall ins Auge gefasst. Zunächst wurde das gesamte Stallgebäude entkernt. Die Buchten für die Schweine sowie die Liegeplätze für die Rinder wurden entfernt. Die Deckenhöhe musste teilweise angehoben werden, denn bei einer Pferdehaltung sollte sie mindestens 2,80 Meter betragen. Familie Hinrichs setzte beim Umbau soweit wie möglich auf Eigenarbeit, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Dennoch verschlang das Bauprojekt rund 69.000 Mark. Thorsten Hinrichs spezifiziert seine Kosten:
Fütterungseinrichtung, Fress-Stände und Futterautomat 29.000 Mark
Stalleinrichtung 10.000 Mark
Tränkesystem 2.000 Mark
Jaucherinnen im Liegeraum 3.000 Mark
Stallbodenplatten 10.000 Mark
Sattelkammer 10.000 Mark
Zaun 3.000 Mark
Drainage im Auslauf 2.000 Mark
Einsteller auf Warteliste
In einer Umbauzeit von rund vier Monaten entstand ein Bewegungsstall für 15 Pferde. Bereits während der Umbauphase erkundigten sich potientielle Einsteller nach einem Platz für ihr Pferd. Einige kamen aus dem benachbarten Reitstall, in dem rund 50 Pferde in reiner Boxenhaltung gehalten werden. Klingt nach keiner guten Nachbarschaft. „Irrtum,“ sagt Thorsten Hinrichs, „die beiden Betriebe ergänzen sich heute großartig. Ich habe keinen Platz, um eine Reithalle zu bauen, dafür haben meine Einsteller quasi nebenan eine Trainingsmöglichkeit für den Winter, die sie gegen Zahlung eines Entgeltes auch regelmäßig nutzen.“ Andere Einsteller kamen, weil Tierärzte ihnen den Tipp mit der alternativen Haltungsform gaben. Der Hinrichsche Stall füllte sich im Nu. Was würde der Agraringenieur im Nachhinein anders machen? „Ich habe die Pensionspreise zu gering angesetzt. Wir sind mit 300 Mark pro Monat und pro Pferd angefangen. Jetzt haben wir auf 350 Mark erhöht. Ein größerer Sprung ließ sich leider nicht rechtfertigen.“ Der Weddingstedter Betrieb ist mit vier Sternen von der LAG (Laufstall-Arbeits-Gemeinschaft) ausgezeichnet und ist gleichzeitig zertifizierter FN-Pferdebetrieb. Hinrichs Zukunftspläne? „In Kürze geben meine Eltern in der Nachbarschaft ihren landwirtschaftlichen Betrieb auf. Da entsteht dann ebenfalls ein etwa gleich großer Bewegungsstall.“ Potientielle Einsteller stehen schon auf der Warteliste, ergänzt Hinrichs. Seinen Job als Produktmanager hat er Ende letzten Jahres gekündigt. Im Januar hat er sich mit einem Ingenieurbüro selbständig gemacht – Tätigkeitsschwerpunkt: Bau und Umbau von Bewegungsställen.
Viel Lehrgeld bezahlt
Martin Wintzer aus dem bayerischen Bruckberg betreibt bereits seit dreizehn Jahren einen Bewegungsstall. Im Jahre 1980 stand auf dem Hof ein Generationswechsel an. Die Eltern betrieben die Landwirtschaft als reine Schweinezucht. Martin Wintzer und sein Bruder halfen auf dem Hof. Ihre Brötchen verdienten und verdienen sie jedoch bei einem bayerischen Autohersteller. Da beide Brüder eine Vorliebe für Pferde haben, wurde der Hof im Nebenerwerb zunächst zweigleisig gefahren. Neben den Schweineställen entstand ein erster Pferdestall mit acht Boxen, weitere Boxen folgten. Im Jahre 1988 ergriff eine Einstellerin die Inititative und „schleppte mich zu Hanns Ullstein junior,“ sagt Martin Wintzer. Auf Gut Wildschwaige bei München betreibt Ullstein seit 1985 einen Bewegungsstall für Pensionspferde. Wintzer war von der neuartigen Form der Pferdehaltung so angetan, dass er das Konzept sogleich für seinen Betrieb umsetzte. Zunächst wurde eine alte Scheune zum Liegeplatz ausgebaut und ein Auslauf befestigt. Viel Pionierarbeit war notwendig, erläutert Martin Wintzer rückblickend. „Die wenige Literatur, die es zum Thema gab, erwies sich als blanke Theorie und als wenig praxistauglich. Ich habe rund 200.000 Mark aufgrund von Fehlinvestitionen durch Unwissenheit in den Sand gesetzt.“
Mehrere Liegeplätze
Als besonders problematisch erwiesen sich die damaligen Fress-Stände. Es wurde propagiert, dass die Pferde Blickkontakt haben sollten. „Dies ist Schwachsinn,“ sagt Wintzer heute. „Bei uns kam es zu einem folgenschweren Unfall. Eine futterneidische Stute, die regelmäßig gegen die Wände des Fress-Standes ausschlug, rutschte dabei so unglücklich aus, dass sie völlig verkeilt im engen Stand festlag und jede Hilfe für sie zu spät kam.“ Da Wintzer als Industriemechaniker handwerklich recht geschickt ist, machte er sich nach dem Unfall daran sicherere Fress-Stände zu konstruieren. Heute ist Blickkontakt beim Fressen tabu. Dadurch ist sehr viel mehr Ruhe eingekehrt. Und noch eine Erfahrung musste er machen: Erst als er einen zweiten Liegeplatz für die damals dreizehn Pferde des Bewegungsstalles einrichtete, kamen auch die rangniedrigeren zu ihrem Recht. Heute werden im Betrieb insgesamt 48 Pferde in zwei Offenställen mit mehreren Liegeplätzen gehalten und es haben sich gut funktionierende Sozialverbände innerhalb der Pferdegruppen ausgeprägt. Martin Wintzer berechnet heute pro Pferd und pro Monat eine Einstellgebühr von 450 bis 470 Mark (der Preisunterschied ergibt sich durch ein unterschiedliches Service-Angebot). Eine Reithalle und ein Reitplatz ist vorhanden und im Sommer gibt es für alle Pferde Auslauf auf den hofeigenen Weiden.
Eingewöhnung ist Stress
Neben einer artgerechteren und gesünderen Haltung lobt Familie Wintzer vor allen Dingen die Arbeitsersparnis und die größere Flexibilität der Arbeitszeit, die ihnen der Bewegungsstall brachte. „Allerdings,“ räumt Martin Wintzer ein, „die Eingewöhnungsphase eines neuen Pferdes ist sehr zeitintensiv.“ Sie dauert nach seinen Erfahrungen rund sechs bis acht Wochen. „Wir beziehen die Pferdebesitzer während dieser Zeit immer mit ein. Das neue Pferd bekommt zunächst einen abgetrennten Teilbereich und wir führen einzeln nach und nach jedes Pferd der Herde mit hinein, so dass der Neuling zu jedem Kontakt aufnehmen kann. Den Pferden werden an allen vier Beinen als Schutz Gamaschen angelegt und sie sind während dieser Phase nie unbeobachtet. Erst wenn zu allen Artgenossen ein Kontakt aufgebaut werden konnte, wird das neue Pferd in den Verband integriert. „Dadurch können wir Verletzungen gering halten und den Neulingen der Herde den Stress der Eingewöhnungsphase nehmen.“ Über seine Erfahrungen würde Martin Wintzer gern ein Buch schreiben. Und auch er denkt über einen Schritt in die Selbständigkeit mit einem Planungsbüro für Laufställe nach. Die von ihm konstruierten Futterstände hat sich Wintzer patentieren lassen. Er vertreibt sie im Bausatz im ganzen Bundesgebiet.
Tipps zum Bewegungsstall
Beratung, Informationen und Praxistipps zur Laufstallhaltung von Pferden bieten unter anderem:
HIT Hinrichs Innovation + Technik, Thorsten Hinrichs, Dorfstraße 1, 25795 Weddingstedt, Tel. 0481-7877260, Fax 0481-7877261
Martin Wintzer, Schlott 1, 84079 Bruckberg, Tel. 08765-407, Fax 089-54779798, eMail: kontakt@reitstall-schlott.de
Laufstall-Arbeits-Gemeinschaft (LAG), Hanns Ullstein jun., Gut Wildschwaige, 85445 Oberding, Tel. 0811—3612, Fax 0811-98342
Tagesseminar: Pferde richtig aufstallen
Pünktlich zum Beginn der Wintersaison bietet das Bildungs- und Beratungszentrum (BBZ) Futterkamp im Rahmen der Seminarreihe „Rund ums Pferd“ eine Tagesveranstaltung an, die sich mit der Winteraufstallung von Pferden beschäftigt. Tierarzt Dr. Jürgen Bartz referiert über die gesundheitlichen Aspekte der Umstellung. Jürgen Lamp vom BBZ stellt neueste Erkenntnisse der Pferdehaltung unter dem Gesichtspunkt Klimaansprüche, Bewegungsbedürfnis und Tierschutz vor. Fütterungsexperte Klaus Lübker erläutert die Berechnung einer ausgewogenen Tagesration. Dabei steht eine leistungsgerechte Fütterung mit den notwendigen Nähr- und Mineralstoffen sowie Spurenelementen im Vordergrund. Das Seminar findet am 22. September in Blekendorf in Schleswig-Holstein statt. Teilnehmer zahlen pro Person 100 Mark. Eine Verpflegung ist im Preis mit inbegriffen.
Anmeldung und Info: BBZ Futterkamp, 24327 Blekendorf, Tel. 04381-90090, Fax 04381-90098
Grundriss Hinrichshof in Weddingstedt
Der ehemalige Rinder- und Schweinestall wurde zu einem Bewegungsstall für etwa 15 Pferde umgebaut.. Das eigentliche Stallgebäude stammt aus dem Jahr 1920 und misst 16 mal 30 Meter. Die Umbaukosten betrugen rund 69.000 Mark. Um die Kosten so gering wie möglich zu halten, führten die Besitzer viel in Eigenarbeit aus. Der Umbau wurde im Sommer durchgeführt. Die Bauzeit betrug vier Monate.
Das Herzstück eines Bewegungsstalls ist die Kraftfutterstation. Das Futter wird vom Computer zugeteilt. Transponder oder Chipimplantate der Pferde machen eine genaue Dosierung möglich. Es ist wichtig, dass die Pferde behutsam mit dem neuen Fütterungssystem vertraut gemacht werden. Insbesondere das Schleusensystem der Kraftfutterstation ist für viele Pferde zunächst gewöhnungsbedürftig. In der Regel dauert diese Eingewöhnungsphase rund vierzehn Tage, sagt Besitzer Thorsten Hinrichs. Nicht minder wichtig sind Eingewöhnungsboxen für Stallneulinge. Ein neues Pferd kann nur allmählich in einen bestehenden Herdenverband integriert werden. Dies kann bis zu acht Wochen dauern.
Bei einem Bewegungsstall ist der Ruheraum wirklich nur Ruheraum. Bei größeren Verbänden sollte mehrere Ruheräume Rückzugsmöglichkeiten bieten, damit auch rangniedrigere Pferde zu ihrem Recht kommen. Pro Pferd werden zehn Quadratmeter Liegefläche benötigt. Tote Winkel, scharfe Ecken und Kanten sind unbedingt zu meiden.
Der Arbeitsbedarf dieses Bewegungstalles beträgt, nach Aussagen des Besitzers, 50 bis 60 Stunden pro Pferd und pro Jahr – ohne Einstellerbetreuung.